In diesem Artikel werden Auswirkungen der bereits beschriebenen toxischen Verhaltensweisen (lesen Sie hierzu die Artikeln Teil 1 und Teil 2) im beruflichen Kontext vertieft. Dabei sind solche Verhalten gemeint, die systematisch stattfinden und ein Muster erkennen lassen. Wir sprechen daher nicht von Missgeschicken oder Vergehen, wenn man mal einen schlechten Tag hatte.
Wenn Menschen sich privat toxisch verhalten, legen sie ihre Haltung, wenn sie auf die Arbeit gehen, nicht ab. Die Grundsätze und Mechanismen dieser toxischen Verhalten bleiben dieselben. Ob bewusst oder nicht, tragen sie diese in das Unternehmen. Dies hat nicht nur eine Auswirkung auf die unmittelbaren Kollegen. Toxische Verhalten beeinflussen negativ die Unternehmenskultur und somit auch den Unternehmenserfolg. Umso wichtiger ist es, sich mit diesen Verhaltensformen auseinanderzusetzen, um diese erkennen und handeln zu können.
Wie äußern sich toxische Verhalten im Berufsalltag?
Auf der Arbeit erwarten wir Professionalität. Zumindest ist es ein erstrebenswerter Zustand. Wir sollten allerdings nicht aus den Augen verlieren, dass manche (unabhängig von der Position) ihre eigene Agenda verfolgen, die sich ausschließlich um die persönlichen Belange dreht. Der folgende Transfer der toxischen Verhalten auf den Berufsalltag soll aufzeigen, wie diese in einem Unternehmen statt in den eigenen 4 Wänden ablaufen könnten.
1. Die Regression
Wir erinnern uns: Regression ist die Rückentwicklung in kindliche Verhaltensweisen.
In gewisser Weise übernimmt der Arbeitgeber für die Angestellten die elterliche Versorger-Rolle, indem er zum Beispiel die für das Leben erforderlichen Gehälter auszahlt. Diese Konstellation kann manch einen dazu einladen, über die Stränge zu schlagen und die Eltern-Kind-Beziehung auf das eigene Arbeitsverhältnis zu projizieren. Derjenige übernimmt in diesem Fall die unreife Kindes-Rolle und regrediert. Wie ein Kind erhebt er oder sie enorme Ansprüche und fordert Nachsicht. Vorzugsweise werden hilfsbereite Kollegen, bestimmte Funktionen (Betriebsrat oder Gleichstellungsbeauftragte) oder die eigene Führungskraft in die Vater oder Mutter Rolle gedrängt und für eigene Zwecke missbraucht.
Hier einige Beispiele für ein regressives Verhalten:
- Mitarbeiter wenden sich ständig an eine, aus ihrer Sicht „höhere/fähigere Instanz“, um für sie Konflikte zu lösen, die sie hätten durchaus auch selber lösen können. Ganz nach dem Motto „Mami/Papi hilf mir“. Der Konflikt kann entweder mit einer anderen Person oder einer Aufgabe sein.
- Sich auf kindliche, unterwürfige Art einschmeicheln oder beim Gegenüber das Gefühl erzeugen, derjenige müsse sich um einen kümmern, können Hinweise auf regressive Verhalten sein.
- Da im Fall von Regression die Verantwortungsübernahme verweigert wird, kann es gut sein, dass derjenige auch für die kleinste Handlung/Entscheidung eine extra Freigabe oder Anleitung braucht. Es kann sich bis zum betreuten Arbeiten steigern.
- Besonderes Ausmaß erreicht es, wenn Führungskräfte oder Kollegen plötzlich das Management des Privatlebens solcher Mitarbeiter übernehmen sollen. Hier liegt die Gefahr, in ein Drama-Dreieck zu gelangen.
- Bizarr aber nicht ausgeschlossen ist es, wenn Vorgesetzte in kindliche Muster verfallen. Dabei könnten sie systematisch die Botschaften „Ich bin hilfsbedürftig“ oder „Du musst mich beschützen“ aussenden. Wird die Zuständigkeit für die emotionale Stabilität einer Führungskraft an die hierarchisch untergeordneten Mitarbeiter outgesourct, wird es paradox und überfordert die Belegschaft. Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich auf einem Frachter, der von einem 6 Jährigen gesteuert wird.
Kinder erfordern viel Aufmerksamkeit und stellen Ansprüche. Trifft solches Verhalten auf ein Unternehmen, bindet es Ressourcen. Statt Arbeitsleistung zu empfangen wird der Arbeitgeber aufgefordert, sich um das Arbeitnehmer-Kind zu kümmern. Der Versuch, diesen Mehraufwand aufzufangen, kann für die „Ersatz-Mutter“/ den „Ersatz-Vater“ im Burnout enden.
2. Das-Arme-Ich
Dem Armen-Ich-Kollegen geht es darum, Mitgefühl zu erhaschen und die Aufmerksamkeit anderer zu binden. Eine Lösung seiner oder ihrer Situation ist nicht gewollt, denn dann wären die Aufmerksamkeit und das Mitgefühl weg. Das-Arme-Ich können Sie auf der Arbeit Folgendes beklagen hören:
- Immerzu werde ich bei der Beförderung übergangen!
- Ständig habe ich mit unfähigen Mitarbeitern zu tun!
- Ich habe nie Glück mit den Vorgesetzten!
- Alle haben etwas an meiner Arbeit auszusetzen!
Wer sich in eine Opferrolle begibt und darin bleibt, entscheidet sich für die Ohnmacht. Allerdings ist die Ohnmacht ein Gefühl, das sich schwierig ertragen lässt. Daher wird abgelenkt. Das eigene Schicksal, andere Menschen, das Umfeld, die Erziehung und noch vieles mehr muss für das eigene Elend herhalten. Spätestens bei einer Krise wird das Arme-Ich vor die Entscheidung gestellt, ob es in der gewohnten Rolle bleiben möchte oder sich eine Veränderung zutraut.
Ob als Führungskraft oder Kollege, akzeptieren Sie bitte, dass nur derjenige selber etwas gegen seine/ihre Situation unternehmen kann. Wenn Sie probieren, demjenigen zu helfen, zögern Sie im Zweifel nur die für seine Veränderung erforderliche Krise hinaus. Wird das Arbeitsklima durch Das-Arme-Ich gestört, können Sie als Führungskraft oder auch als Kollege ein klärendes Gespräch suchen und demjenigen zum Beispiel Informationen aus diesem Artikel zur Verfügung stellen. Entscheidet sich derjenige trotzdem für sein/ihr Elend, kann ich Ihnen die eigene Abgrenzung oder als Führungskraft ein Gespräch mit Ihrer klar formulierten Erwartungshaltungen empfehlen.
3. Das Totschweigen
Das Totschweigen kann in einem das Gefühl wecken, man sei nicht existent oder sei unsichtbar. Auf der Arbeit ist das absichtliche Schweigen schädigend, wenn Informationen benötigt und Kommunikation erforderlich sind. Wenn etwa Input für ein Projekt oder eine Entscheidung aussteht und der Verantwortliche sich schlichtweg nicht äußert. Nutzt jemand das Schweigen als Strategie, handelt derjenige nicht nur unkollegial sondern schadet dem Unternehmen. Hier einige Beispiele:
- Ihre Mails, Anrufe oder Termineinladungen werden ignoriert
- Zugesagte Inhalte werden nicht (fristgerecht) geliefert
- Eine dringend benötigte Entscheidung wird nicht getroffen
- Eine im Meeting gestellte Frage wird mit Stillschweigen beantwortet und ignoriert
- Wichtige Informationen werden absichtlich vorenthalten
Über das Totschweigen versucht der Aggressor sein Opfer zu dominieren, bloßzustellen und/oder zu diskreditieren. Auf Kosten des Unternehmenserfolgs trägt er persönliche Konflikte auf eine passiv-aggressive Art aus. Erfahrungsgemäß wird derjenige von sich aus nicht aufhören. Als Führungskraft solcher Persönlichkeiten müssen Sie handeln und den Mitarbeitenden konfrontieren. Doch bevor Sie das Gespräch suchen, wagen Sie einen inneren Dialog. Gemäß dem Resonanzprinzip begegnen uns Menschen nicht aus Zufall. Die meisten Beziehungen geben uns die Chance, etwas über uns zu lernen. Was löst so jemand in Ihnen aus, wenn er Sie oder Ihre Kollegen über das Schweigen dominiert? Wie geht es Ihnen mit dem Wort „Macht“? Dürfen Sie Ihre Macht nutzen oder sich wehren? Welche Ihrer Überzeugungen könnte dem Aggressor ein Einfallstor bieten?
4. Die Drama-Queen oder der Drama-King
Lautes Auftreten, überschwängliche Redensart, eine Welt oder ein Projekt, welche(s) unbedingt untergehen wird. Aus Herausforderungen werden Unmöglichkeiten gemacht. So eine Person wird der Führungskraft und den Teammitgliedern zunächst die Utopie einer Zielerreichung oder damit verbundene, unüberwindbare Bürden aufzeigen. Sie echauffieren sich darüber, wie „extremst“ schwierig und „maximal“ unerreichbar etwas doch sei.
Ich habe erlebt, dass manche Menschen die Drama-Persönlichkeiten als witzig beschreiben. Es sei lustig, wenn jemand sich so grundlos und übertrieben aufregt. Quasi eine kostenlose Show-Einlage am Arbeitsplatz. Ich kann Ihnen versichern, Ihnen wird das Lachen vergehen, wenn Sie Ergebnisse liefern und mit so einer Person unmittelbar arbeiten/sie führen müssen. Drama-Persönlichkeiten verhindern, mindestens verzögern aber ein Weiterkommen zugunsten der Aufmerksamkeit, die ihnen bei ihrer Show zuteil wird.
Beim Drama dreht sich alles um einen tragischen Konflikt, ein Trauerspiel. Das Unternehmen und die Zielerreichung rücken in den Hintergrund, denn die Hauptrolle ist schon längst besetzt. Dem Protogonisten geht es nicht um eine Lösung, denn Lösungen verdrängen Dramas. Für die Drama-Persönlichkeit darf der Erfolg also nicht leicht oder möglich sein. Jemand, der an Lösungen statt einem Schauspiel interessiert ist, sollte sich daher nicht auf das Spiel der Drama-Persönlichkeiten einlassen.
Drama-Babies sind für die positive Erfolgsorientierung einer Gruppe, die Produktivität oder Effizienz kontraproduktiv. Es ist empfehlenswert, die Aufmerksamkeit solchen Persönlichkeiten zu entziehen und sich lieber auf die Lösung zu fokussieren. Auch konsequent genutzte Frage-Techniken können hier helfen. Positiv formulierte Frage nach dem ‚wie ein Ziel erreicht werden kann‘ und nicht ‚ob‘, sollte im Vordergrund stehen.
5. Die Täter-Opfer-Umkehr
Bei der Täter-Opfer-Umkehr inszeniert sich der Täter als das vermeintliche Opfer. Das wahre Opfer wird als Täter dargestellt. Ein außenstehender Dritter hat es nicht leicht, die wahren Rollen aufzudecken. Erschwerend kommt dazu, dass die wahren Opfer erfahrungsgemäß seltener ihre Rechte verteidigen oder sich als Opfer sehen/benennen. Sie ziehen sich eher zurück.
Hier einige Beispiele für die Täter-Opfer-Umkehr auf der Arbeit:
- Eine Führungskraft, die keine Konkurrenz erträgt, sabotiert eine andere, damit diese und ihr Team vor der Geschäftsführung schlecht dastehen. Wendet sich die Geschäftsführung nun an die Täter-Führungskraft, damit diese die andere Abteilung unterstützt, setzt sich die Täter-Führungskraft als Opfer in Szene. Sie betont unablässig den für sie entstehenden Mehraufwand und beschwert sich darüber, dass sie immerzu andere „retten“ muss. Somit stellt sie sich nicht nur als das vermeintliche Opfer der (selbst herbeigeführten) Situation, sondern auch noch als Retter da.
- Ein Angestellter macht seine Kollegin hinter ihrem Rücken vor anderen schlecht und versucht gar ihre Karriere zu vereiteln. Sie erfährt davon und bricht den Kontakt ab, zieht sich zurück, ohne ihn damit zu konfrontieren. Er reagiert empört und beschuldigt sie, sich unkollegial und kalt zu verhalten.
- Eine Mitarbeiterin spinnt seit geraumer Zeit Intrigen gegen ihren Kollegen, weil sie seine Stelle haben will. Ihr Plan geht auf und der Kollege verlässt das Unternehmen. Ihr wird die Stelle angeboten und sie inszeniert sich als das Opfer der Kündigung, da sie jetzt wegen der Kündigung mit der neuen Stelle mehr Verantwortung übernehmen „müsse“. Doch genau das war ihre Absicht.
- Ein Täter in einer untergeordneten und vermeintlich schwächeren Konstellation, zum Beispiel Mitarbeiter und Führungskraft, hat paradoxer Weise ein leichteres Spiel. Die meisten Menschen sprechen jemandem in einer untergeordneten Rolle eher eine Opfer- statt eine Täter-Rolle zu. So dominieren manche Mitarbeiter ihre Führungskraft so lange, bis diese sich wehrt, um dann in die Opfer-Rolle zu verfallen und die Führungskraft lauthals zu beschuldigen.
Ob privat oder beruflich, es ist immer förderlich, sich einen eigenen Eindruck der Gesamtsituation zu verschaffen, bevor man urteilt. Nicht derjenige hat automatisch Recht, der am lautesten schreit.
6. Die emotionale Erpressung
Es könnte der Eindruck entstehen, dass die emotionale Erpressung eindeutig im Privatleben statt im Berufsumfeld zu verorten wäre. Doch auch auf der Arbeit nutzen Menschen Gefühle anderer aus, um sie zu manipulieren. Auch hier werden etwa (Verlust-) Angst, Scham oder hohes Verantwortungsgefühl für eigene Zwecke missbraucht. Hier einige Beispiele:
- Eine Führungskraft, die bei der Kommunikation einer unangenehmen Unternehmensentscheidung Verbrüderung und Mitleid ihres Teams sucht, statt die Führungsverantwortung zu übernehmen. Der Führungskraft sei es so unangenehm, eine solche Entscheidung zu übermitteln. Über Mitleid will die Führungskraft es vermeiden, die Verantwortung seiner Führungsrolle und ihre Konsequenzen zu tragen. Die Mitarbeiter werden über das Mitgefühl erpresst, ihre Empörung, Unsicherheit oder Wut nicht bei ihrer Führungskraft zu platzieren.
- Ein Mitarbeiter will eine Aufgabe nicht erledigen und erpresst ein anderes Teammitglied, diese Aufgabe für ihn zu übernehmen. Das Erpressungsmittel ist der anstehende Urlaubsplan, bei dem der Erpresser seinem Opfer suggeriert, ihm nur im Falle eines Entgegenkommens ebenfalls entgegen zu kommen. Er nutzt das Gefühl der Unsicherheit bezüglich der Urlaubsplanung seines Opfers aus.
- Jemand, der droht, persönliche Informationen bekannt zu machen, wenn derjenige sich nicht erwartungsgemäß verhält.
- Ein Angestellter, der selbstverschuldet mit einem Projekt nicht rechtzeitig fertig geworden ist und seinen Arbeitskollegen über sein Schamgefühl zu Unterstützung zwingen will: „Das ist aber nicht kameradschaftlich von dir, wenn du mir jetzt nicht hilfst. Dein Vorgänger hat mir sonst immer geholfen“.
Es ist nur verständlich, dass wir auch auf der Arbeit kollegial sein wollen. Wir sind soziale Wesen und streben ein positiv erlebtes Gruppengefühl an. Auch Führungskräfte sind keine Roboter und es tut ungemein gut, auch mal vom eigenen Team in schwierigen Zeiten aufgefangen zu werden. Nutzt jemand allerdings die Güte oder Ängste anderer heimtückisch aus, kippt das positiv erlebte Gruppengefühl ins Negative. Ab da beginnt es, toxisch zu werden. Dort sollte eine klare Grenze gezogen werden.
7. Die Koketten
Das Kokett-Sein ist geschlechterunabhängig. Die koketten Menschen erkennen Sie in erster Linie am Äußeren, an ihrem reizvollen Erscheinungsbild. Sowohl bei Frauen als auch Männern ist es die etwas zu eng sitzende Kleidung, etwas zu viel Parfüm, eine Bluse oder ein Hemd, das zu weit geöffnet ist, bei einer Frau zu viel Make-Up. Es ist immer ein „etwas zu viel“, um noch professionell zu wirken.
Wie bereits im vorangegangenen Artikel beschrieben, geht das kokette Verhalten über den Kleidungsstil hinaus. Manche erleben bei koketten Mitarbeitenden ein Nähe-Distanz-Problem. Ob direkt oder subtil wird entweder die physische oder emotionale Grenze zugunsten eines Flirts verletzt. Der Kokette kommt bei Gesprächen zu nah, setzt sich unangemessen freizügig hin oder wählt ein intimes Gesprächsthema.
Ferner kann bei diesem toxischen Verhalten über das Unsicherheitsgefühl manipuliert werden. Indem die kokette Persönlichkeit dafür sorgt, dass die Kollegen oder die Führungskraft befürchten müssen, sie an ein anderes Unternehmen oder Abteilung zu verlieren. Es werden Köder ausgelegt, um zu demonstrieren, wie anderweitig begehrt derjenige sei. Nebenbei wird zufällig die Headhunter-Kontaktaufnahme erwähnt, der Lob einer anderen Führungskraft oder eine anderswo in Aussicht gestellte, viel bessere Bezahlung.
Bei all den hier aufgeführten Beispielen handelt es sich um toxische Verhalten, wenn diese zu einer Masche gehören, wenn sie also systematisch wiederholt werden. Auf der Arbeit kokettieren ist höchst unprofessionell und gehört eindeutig nicht an den Arbeitsplatz.
8. Der permanente Kritiker
Wenn Sie an einen permanenten Kritiker auf der Arbeit denken, denken Sie vermutlich in erster Linie an eine Führungskraft, die ständig etwas an eigenen Mitarbeitenden oder deren Arbeitsergebnissen auszusetzen hat. Eine Präsentation ist nie präzise genug, ein Konzept nicht ausreichend ausgearbeitet, der Vortrag nicht überzeugend. Bei solchen Führungskräften wird die erbrachte Leistung nie gut genug sein.
Der Weg des permanenten Kritikers ist allerdings keine Einbahnstraße. Die Kritik kann am Arbeitsplatz in beide Richtungen gehen. Mitarbeitende denen keine Führungskraft gut genug ist. Zu streng, zu laissez-fair, zu penetrant, zu laut und sonst wie „zu“, nur ebenfalls nicht gut genug.
Auch andere Konstellationen sind denkbar. Etwa wenn Angestellte grundsätzlich an allem etwas auszusetzen haben: die Unternehmenspolitik, -Strategie, -Kultur, die anderen Kollegen, die Büroausstattung, die Geschäftsführung, Kunden und noch vieles mehr. Solche Persönlichkeiten suchen überall das Haar in der Suppe, nur nicht in der eigenen. Sie erheben sich zum Bewerter und polieren dadurch das eigene Selbstwertgefühl auf. Ganz nach dem Motto, wenn ich sehe, was alles falsch läuft, suggeriere ich, dass ich es besser könnte. Nur unternimmt oder verändert der permanente Kritiker nie etwas. Denn dann hätte er ja nichts mehr, worüber er sich in Dauerschleife aufregen könnte.
Von sich aus dürfte der permanente Kritiker kaum von seiner Kritik-Obsession abrücken, denn er ist vermutlich bereits eine lange Zeit damit erfolgreich gewesen. Als Führungskraft müssen sie handeln, denn so jemand belastet das Arbeitsumfeld. Nur werden Sie denjenigen auf Dauer nicht besänftigen können. Aus meiner Erfahrung haben alle Beteiligten eine Chance auf Veränderung, wenn der Kritiker mit den Folgen seines Verhaltens und der Erwartung der Führungskraft zu seinem künftigen Verhalten konfrontiert wird.
9. Die Kontrollsucht
Als Führungskraft muss man loslassen können. Umso mehr, wenn man am Wachstum und Entwicklung eigener Mitarbeiter interessiert ist. Neigt man stattdessen zur Kontrolle, wird Delegation praktisch unmöglich. Dies überlastet nicht nur die Führungskraft, denn durch die zusätzlichen Kontrolltätigkeiten belastet sie sich obendrein. Auch Mitarbeiter und letztendlich der Unternehmenserfolg leiden unter unbegründeter Kontrolle. Insbesondere die Einführung von Home Office hat den einen oder anderen an seine persönliche Grenzen des Vertrauens gebracht.
Bei übermäßiger Kontrolle werden Mitarbeiter an die kurze Leine gelegt. Wer über Gestaltung und Mitwirkung seine Arbeitsmotivation findet, wird unter einer kontrollsüchtigen Führungskraft im Boreout landen. Kontrollsüchtige Führungskräfte üben ihre Sucht sowohl versteckt als auch offen aus. Manche kontrollieren die Zwischenstände, indem sie im Hintergrund auf Ordnerstrukturen oder Arbeitsunterlagen zugreifen. Andere wiederum lassen sich unentwegt alle Arbeitsprozess-Schritte berichten oder Zeugnis darüber ablegen, was an einem Tag oder während einer Woche gemacht worden ist. So ist der Mitarbeiter mehr mit Reports statt der eigentlichen Aufgabe beschäftigt. Effizienz geht anders.
Auch manche Mitarbeiter üben ihre Kontrollsucht gegenüber anderen Kollegen oder ihrer Führungskraft aus. Die Digitalisierung und die damit einhergehende Transparenz begünstigen dieses Verhalten. Die Mittlerweile für viele zugängigen Kalender werden von manch einem genaustens inspiziert und mit anderen abgeglichen. Wer geht mit wem wann und wie lange in die Pause, wer nimmt gleichzeitig Urlaub. Aus solchen „Untersuchungen“ werden ganze Beziehungsstrukturen rekonstruiert und in manchen Fällen auch Affären-Verdachtsfälle inklusive Gerüchte. Dabei ist die Grenze zwischen der Neugierde und Stalking näher als man denkt. Die währenddessen investierte Energie würde aber woanders mehr Sinn machen.
10. Das Gaslighting
Wir erinnern uns: beim Gaslighting will der Gaslighter, dass sein Opfer an seiner eigenen Wahrnehmung zweifelt. Der Gaslighter will die Deutungshoheit über das (Arbeits-) Leben seines Opfers. Über Isolation, Lügen und Tatsachenverdrehung wird das Opfer verunsichert und traut sich, den eigenen Erinnerungen oder der eigenen Wahrnehmung nicht mehr. Es wird von dem Gaslighter abhängig.
Gaslighting hat eine gewisse „Qualität“ was toxisches Verhalten angeht. Und auch wenn es nicht so häufig wie manch andere toxische Verhalten im Unternehmen anzutreffen ist, so sind die Auswirkungen umso heftiger. Für ein Unternehmen ist Gaslighting mit seiner kriminellen Energie nicht haltbar. Denkbar sind in diesem Zusammenhang nicht nur Image-Verluste, auch finanzielle Schäden sind keine Ausnahmen.
Will ein Gaslighter Sie aus dem Weg schaffen, ist ihm jedes Mittel recht. Das perfide an solchen Situationen ist, dass zwischen dem Gaslighter und seinem Opfer zumindest anfangs ein Vertrauensverhältnis besteht. Genau dies ist sein Einfallstor. Das erschlichene Vertrauen wird gnadenlos ausgenutzt: getroffene Vereinbarungen werden dementiert („ich habe nie der Projektübernahme zugestimmt, du wirst es falsch verstanden haben“), Unterlagen gefälscht/gelöscht, angebliche Absprachen behauptet („Sie haben dem Budget im letzte Jour Fixe zugestimmt“). Die Beziehung zum Gaslighter kann sowohl im Über- (Vorstand wird von einer Beratungsfirma oder einem Mitarbeiter des Vertrauens manipuliert) als auch Unterordnungsverhältnis (der Vorgesetzte oder der Verwaltungsrat manipuliert einen dienstlich Unterstellten) bestehen.
Gaslighting-Erfahrungen auf der Arbeit haben schon einige dazu gebracht, die Mails (an bestimmte Personen) ausschließlich mit Lesebestätigung zu verschicken, Abgesprochenes akribisch zu dokumentieren und lange Zeit aufzubewahren oder sich Zeugen in Form einer (Bild-) Kopie beim Mail-Verteiler ins Boot zu holen.
Die kriminelle Intention hinter Gaslighting kann es erforderlich machen, die Personalabteilung, Revision, Staatsanwaltschaft oder das Finanzamt einzuschalten.
Für alle toxischen Verhalten auf der Arbeit gilt: die eigenen Interessen werden denen des Unternehmens vorangestellt. Manche sind mehr, andere weniger schädlich. Doch sie alle prägen die Unternehmenskultur. Umso wichtiger wird es für Unternehmen, sich bewusst mit der eigenen Unternehmens- und Führungskultur auseinanderzusetzen. Entsprechend sollten angestrebte Leitsätze konsequent umgesetzt werden. Das Unternehmen kann dabei den Führungskräften und Mitarbeitenden Hilfestellungen und Unterstützungsangebote schaffen, mit toxischen Verhalten umzugehen oder an der eigenen Haltung zu arbeiten. Dieses Investment zahlt sich nachhaltig auf den Unternehmenserfolg aus.